Scheidung – kein Problem oder doch ein Problem?

Die einen sagen: „Ist doch kein Problem, sich scheiden zu lassen, warum reden wir eigentlich darüber?“ Die anderen sagen: „Geht gar nicht. Scheidung darf man nicht. Punkt.“ Beides ist mir zu einfach. Eine Betrachtung ohne Moralisieren und ohne Leichtfertigkeit.

Fangen wir bei mir an

Ja, ich bin geschieden. Viele fragen dann, wie das sein kann, ich sei doch noch so jung. Andere kriegen mit einem Mal diesen mitleidigen Blick. Wieder andere wollen mit mir über Sünde sprechen und hinterfragen, wie ich als Geschiedene denn überhaupt überzeugend Paare anlässlich ihrer Trauung segnen könnte. Ich habe mir oft gewünscht, die Leute würden einfach nur fragen: „Wie geht es dir mit der Scheidung?“ Und dann würde ich erzählen, dass es mir gut damit geht, dass es eine gute Entscheidung für mich und mein Leben war. Dass ich unter der Beziehung und der Ehe gelitten habe. Dass ich morgens keinen Grund zum Aufstehen hatte, weil jeder Tag so schrecklich war. Dass das Ende meiner Ehe eine Erlösung und eine Befreiung war. Aber das möchte niemand hören. 

Die Beendigung einer Ehe kann weiteren Schaden, weitere Schuld verhindern

Ich kann es nicht genug betonen: Klar, wollte ich am Anfang meiner Ehe zusammenbleiben, für immer und so. Ich wollte das Gute tun, mich stets versöhnen, zurückstecken, mit der Liebe alles überwinden. Und doch sagt auch Paulus, im Brief an die römische Gemeinde in Kapitel 7: „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ Es geht bei Paulus um einen Kreislauf von Schuld und bösen Taten. Einen verhängnisvollen Kreislauf. Auf die Ehe münze ich das so: Immer will ich mich vertragen, will ein Wort der Liebe sagen – doch alles wird lieblos und endet im Streit. Und im Streit werden Dinge gesagt und getan, die nicht mehr zurückgenommen werden können. Ich glaube nicht, dass Gott will, dass wir einen solchen Kreislauf von Schuld aufrechterhalten. Es kann nicht Gottes Wille sein, dass wir uns immer wieder gegeneinander schuldig machen. 

Biblisch erlaubt: Mit dem Scheidungsbrief die Ehe beenden

Im Alten Testament wird eine Scheidung erlaubt. Der Mann darf nämlich seiner Frau einen „Scheidungsbrief“ ausstellen. In Deuteronomium, Kapitel 24 wird der Fall beschrieben, „wenn jemand eine Frau zur Ehe nimmt und sie nicht Gnade findet vor seinen Augen, weil er etwas Schändliches an ihr gefunden hat, und er einen Scheidebrief schreibt und ihr in die Hand gibt und sie aus seinem Hause entlässt.“ Voraussetzung für die Scheidung ist, dass der Mann an der Frau etwas „Anstößiges“ findet bzw. dass er sie „hasst“. Er übergibt den Scheidebrief. Die Frau kann dann zeigen, dass sie nicht mehr verheiratet ist – und kann neu heiraten. Nicht klar ist, ob die Scheidung auch von der Frau ausgehen konnte. 

Jesus ist kritisch, was Scheidung angeht

Insgesamt erscheint mir das Alte Testament beim Thema Scheidung als relativ liberal. Jesus sieht das kritischer. In seiner berühmten Bergpredigt zitiert er die Stelle aus dem Deuteronomium und sagt:

„Es ist auch gesagt: ‚Wer sich von seiner Frau scheidet, der soll ihr einen Scheidebrief geben.‘ Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Unzucht, der macht, dass sie die Ehe bricht.“

Evangelium nach Matthäus 5,31-32

Es scheint um den Fall zu gehen, dass der Mann sich scheiden lässt, obwohl die Frau das nicht will. Er zwingt sie durch Übergabe des Scheidungsbriefs, zu gehen und sich jemand Neuen zu suchen. Wenn sie aber innerlich noch in der Ehe ist, ist die Zuwendung zu jemand Neuem ein Bruch der vorigen Ehe. Weil diese vorige Ehe für sie ja weiterhin besteht und sie sich nicht gelöst hat.
Jesu Worte schützen vor allem den schwachen Part in der Ehe, der in die Scheidung gezwungen wird und dadurch möglicherweise gesellschaftliche Nachteile hat. Deswegen betont Jesus die Zusammengehörigkeit in der Ehe, die nicht leichtfertig aufgelöst werden soll. Im Evangelium nach Markus, Kapitel 2 verweist er darauf, dass Mann und Frau „ein Fleisch“ seien und fest zusammengehören. Was ist aber wenn zwei Menschen sich frei entscheiden, dass sie nicht mehr zusammengehören wollen und es auch nicht mehr können?

Es gilt christliche Freiheit, auch in der Ehe

Paulus schreibt im Brief an die römische Gemeinde, in Kapitel 8, von der Freiheit: 

„So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“

Brief an die römische Gemeinde 8,1-2

Das Gesetz der Sünde lässt mich immer wieder Schlechtes tun und denken. Das Gesetz von Jesus Christus befreit mich. Ich folge Christus und der Freiheit, die er mir schenkt. Ich kann aufrichtigen Herzens sagen, dass die Scheidung mich freier gemacht hat. Sie hat mich vor allem freier gemacht dazu, mich selbst zu lieben und anderen mit Liebe zu begegnen. Die Lieblosigkeit, die ich in der Ehe erlebt habe, hätte mich kaputt gemacht. 

Reformatorisch gedacht: Scheidung erlaubt, wenn es nicht anders geht

Martin Luther und andere reformatorisch Denkende wissen um das Menschliche, das in der Ehe geschieht, denn sie erleben es. So nennt Martin Luther in „Vom ehelichen Leben“ (1522) drei gute Gründe für eine Scheidung: Ehebruch, das Auseinanderleben und Vorenthalten ehelicher Pflicht sowie Unversöhnlichkeit. Für den Fall der Unversöhnlichkeit schlägt Luther vor, von nun an ehelos zu bleiben. Indem Luther die Scheidung erlaubt, will er nicht zur Scheidung auffordern. Er rät dazu, Konflikte in Geduld auszutragen und zu ertragen. Es scheint aber klar zu sein: Manche zwei Menschen können auf Dauer nicht zusammen sein. Das gilt vor allem auch für Fälle von häuslicher Gewalt, was ein Zusammenleben unmöglich macht.
Darüber hinaus hat Luther die Eheschließung in zwei Ebenen unterschieden: In einen rechtlichen Akt und einen kirchlichen Akt. „Die Ehe ist ein äußerlich, weltlich Ding“, das hat Martin Luther 1530 in seiner Schrift „Von Ehesachen“ betont. Dahinter steckt keine Abwertung der Ehe, sondern eher eine Klärung: Einerseits, dass zwei Menschen vor Gott zusammengefügt werden – und andererseits, dass der Staat diese Einheit rechtskräftig anerkennt. Luther hat in vielen Zusammenhängen klargestellt, dass er die aktuelle Rechtslage achtet und anerkennt. Es kann eine Flexibilität gemutmaßt werden, die ihm erlauben würde, auch heutige Rechtsprechung zur Scheidung anzuerkennen.

Idealbilder und das echte Leben

Alle, die vor dem Traualtar stehen und ehrlich den Wunsch haben, zusammenzubleiben, wissen vermutlich, was ich meine: Man wünscht sich von Herzen, dass man zusammenbleibt, dass es hält, dass man zusammen glücklich wird, für immer. Ich möchte nicht, dass wir dieses Idealbild verwerfen. Wer zusammenbleiben will und kann, den bewundere ich. Und eine Heirat hat etwas zu bedeuten. Im Eheversprechen steckt die aufrichtige Willenserklärung: Ja, ich will. 
Aber die beiderseitige Absicht und der Wunsch zusammenbleiben, ist keine Garantie für eine Ehe. Nicht jede Ehe ist glücklich. Und einer Person, die mich mal wieder fragte, ob Scheidung nicht Sünde ist, entgegnete ich: Ich glaube nicht, dass zwei Personen, die ihr ganzes Leben verheiratet sind, immer alles richtig machen. Reden wir doch über Sünden in der Ehe. So zu tun, als ob die Scheidung die Sünde darstellen würde, stellt ein Ergebnis als falsch dar, während doch eher der Weg dahin ein Abweg war. Es passieren Dinge im Leben, es passieren Dinge in der Ehe. 

Das Menschliche und das Theologische

Altes Testament, Paulus, Jesus – und darf ich mich jetzt scheiden lassen oder nicht? Haben diejenigen recht, die sagen: „Ist doch kein Problem, sich scheiden zu lassen, wieso denn auch nicht?“ Oder ist es besser auf einem harten Standpunkt zu bleiben und zu meinen: „Geht gar nicht. Sich scheiden lassen, ist unchristlich.“
Ich möchte einen Mittelweg vorschlagen. Denn: Sich leichtfertig scheiden zu lassen oder einfach zu gehen, ist keine Lösung. Viele Probleme können mit Geduld und Liebe tatsächlich überwunden werden, wie auch Luther betont. „In guten wie in schlechten Zeiten“ hat etwas zu bedeuten. Sich nicht scheiden zu lassen, sollte das Idealbild bleiben. Jesu Worte und seine Warnung vor der Scheidung haben bleibendes Gewicht. Denn ich gehe eine Verpflichtung ein und leiste ein Versprechen. Dass aber das echte Leben passiert und Menschen teilweise nicht mehr zusammenleben können, ist ebenso real. Eine Scheidung zu moralisieren, führt daher nicht weiter. Gesetze und Regeln können menschenfeindlich werden und sich gegen ihren eigenen Sinn wenden; nämlich Menschen zu beschützen. Paulus beschreibt einen Kreislauf aus Schuld. Wenn so ein Kreislauf durch eine Scheidung durchbrochen werden kann, ist es richtig, dem Gesetz der Freiheit zu folgen – und auszubrechen.

Ein persönliches Wort zum Schluss

Ich habe mit der Scheidung sehr gerungen und es mir zu keinem Zeitpunkt leicht gemacht. Auch darüber zu schreiben, ist nicht leicht. Ich möchte ehrlich sein und nichts schönreden. Eine Scheidung ist nicht schön und ich nehme das nicht leicht. Es ist meiner Meinung nach zutiefst menschlich, Fehler zu machen, Abwege und Irrwege zu gehen, Versprechen zu brechen. Wir Menschen sind nicht perfekt, aber wir müssen trotzdem das Leben wagen. 
Und was gelebt ist, lege ich vor Gott. 

Eure Theotabea

2 Kommentare

  1. Danke für diese Worte!
    Natürlich sollte keine Ehe geschieden werden. Schön wäre es wenn das so funktionieren würde. Ich bin nach über 25 Jahren Ehe wo wir wirklich vieles ausprobiert haben um es nicht zur Trennung kommen zu lassen, endgültig gegangen. Ihre Probleme wurden zu viel und endeten zu oft in Gewaltausbrüchen. Es gab keine Ausweg.
    Nun sind wir seit 5 Jahren getrennt, wir beide haben neue Partner und es ist gut so, auch für unsere gemeinsame Tochter.

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  2. Schöner Beitrag, danke. Jeder von uns kennt doch mittlerweile ein geschiedenes Paar, auch in christlichen Kreisen. Ich wurde noch so aufgezogen, dass Scheidung Sünde ist und dann ließen sich meine Eltern scheiden… Jahre später las ich mal in der Bibel nach, was da zu Scheidung drin steht. Meine Erziehung wurde bestätigt, allerdings ist Gott dann doch gnädiger als wir (oder diese Christen, die mir das so beibrachten).

    Ein spannendes Thema! Beschäftigt mich auch dann und wann noch.

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