Reformen und Umgestaltungen von Kirche gibt es Viele – Träume auch. Warum dann von einere Kirchohne Rassismus träumen? Ist das überhaupt relevant? Hier lest ihr meine Antwort auf diese Frage und meine Leseerfahrung mit „Wie ist Jesus weiß geworden? – Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ von Sarah Vecera.
Das N-Wort fällt.
Jemand erkennt rassistische Denkmuster und benennt diese deutlich.
Die erste Person will aber kein Rassist*in sein und ist gekränkt.
Die Stimmung ist unversöhnlich.
Kennt ihr solche Situationen? Vom Familientisch? Vielleicht auch aus dem kirchlichen Kontext: Beim Kirchkaffee oder einer gemeinsamen Sitzung? Manchmal ist es gar nicht leicht, mit diesen Situationen umzugehen und vielleicht geht es euch wie mir und ihr habt euch da auch schon länger einen besseren Umgang gewünscht.

Beim Thematisieren, Verstehen und Lernen gibt es jetzt ein Buch, mit dem – so denke ich wenigstens – ein guter Anfang gemacht ist: „Wie ist Jesus weiß geworden? – Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“ von Sarah Vecera.
Es gibt viel zu lernen
Als weiß gelesene Person lerne ich als erstes: Ich muss viel lernen. Was ist schon „weiß“? Meine Haut ist eigentlich auch eher beige – und vom Äußeren erkennen Menschen bei mir eher eine osteuropäischen Einschlag. Die Familie meiner Oma kam aus einer Region, die heute zu Polen gehört. Ich erinnere mich, wie ich im Auslandsjahr in den USA enttäuscht angeguckt wurde, weil ich nicht blond und blauäugig war, also: „not so German.“
Die Idee, Menschen nach Hautfarbe oder gar „Rasse“ einzuteilen, ist eben gleichermaßen absurd wie wirkmächtig: Über Jahrhunderte sind diese Denkmuster gepflegt worden und sie stecken in uns. Ob wir wollen oder nicht. Ehrlicherweise profitieren weiß gelesene Personen ja auch davon, dass People of Color abgewertet werden. Diese Ehrlichkeit tut aber auch ganz schön weh. Dazu später mehr.
Es gibt keine Orte und keine Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind – aber es gibt auch Hoffnung
Oder anders: Rassismus ist überall. Auch das lerne ich bei Sarah Vecera.
Und was machen wir jetzt? Mit unseren Alltagssituationen? Mit unserer Kirche, von der wir doch gerne hätten, dass alle dabei sind? Mit dem großen, bösen Wort „Rassismus“ und allen großen und kleinen Verletzungen, auf allen Seiten?
Sarah Vecera spricht so schön von einem „Traum von Kirche ohne Rassismus“. Ich habe sie gefragt, ob ich mitträumen. Ich darf.
Und ihr dürft das bestimmt auch.
Nach einem Seminar von Sarah Vecera unterhalte ich mit Kolleg*innen und wir sind uns einig: Das Wunderbare an ihrem Ansatz ist, dass wir uns nicht schlecht damit fühlen oder angegriffen- aber angesprochen und herausgefordert. Es geht nicht um Verurteilen und Moralisieren, sondern darum gemeinsam einen Schritt weiterzukommen.
Im Besuchsdienstkreis meiner Gemeinde stelle ich diesen Impuls zur Verfügung. Ich rede von Sarah Veceras Traum. Sie schreibt (S.63): „Wir träumen doch von einer Kirche, die wieder neuen Aufschwung erfährt, Menschen einlädt, sich öffnet und uns staunen lässt darüber, wie vielfältig Gottes Schöpfung ist.“ Ich spreche davon, dass wir in der Gemeinde natürlich alle besuchen – unabhängig von Name, Herkunft, Geschlecht. Aber das doch auch welche fehlen würden auf der Liste und wie schön es wäre, diese auch zu erreichen. Ich spüre, dass diese Worte ermutigen und es uns guttut, darüber zu sprechen.
Viel Schmerz, der durch Rassismus erzeugt wird
Neben der ermutigenden Seite gibt es auch die Verletzungen. Ich weiß nicht, wie es als People of Color in Deutschland ist. Ich lese, dass sie im Bildungssystem, auf dem Wohnungsmarkt bei der Arbeitsplatzsuche benachteiligt werden. Und denke: Diese Benachteiligung ist doch nicht zeitgemäß! Gleichzeitig schreiben weiß gelesene Personen ihren Erfolg ihren individuellen Fähigkeiten zu – kaum einer macht sich bewusst, wie sehr unsere Gesellschaft bestimmte Stereotypen fördert. Natürliche habe ich meine Leistungen selbst erreicht und ich darf stolz darauf sein, wie ich finde. Das Thema der „Stereotype“ gibt mir aber zu denken.
Ich erlaube mir an dieser Stelle persönlich von meiner Erfahrung mit Stereotypen zu sprechen: Als Frau im Pfarrberuf erlebe ich manchmal befremdliche Momente. Zum Beispiel, wenn mein Mann mal wieder für „den Pfarrer“ gehalten wird, obwohl er gar nicht für die Kirche arbeitet. Und obwohl es doch wirklich genug Pfarrerinnen gibt, spüre ich oft, wie Menschen das Bild von „dem Pfarrer“ verinnerlicht haben. Natürlich lachen wir beide darüber – und mein Mann korrigiert die Situation jedes Mal, geduldig, freundlich, schmunzelnd. Aber manchmal merke ich auch, wie anstrengend es ist, gegen diese Bilder zu kämpfen. Es meint ja auch niemand böse.
Natürlich möchte ich nicht sagen, ich wüsste wie sich Rassismus anfühlt, nur weil mir sexistische Denkmuster weh tun – aber es sind Erfahrungen, die unweigerlich bei mir hoch kommen, wenn Sarah Vecera von „Momente wie Mückenstiche“ (S. 163) spricht. Es gäbe „direkte Beleidigungen, unbewusste Handlungen, wie das Umkrallen der eigenen Handtasche oder nett gemeinte Komplimente.“ (ebd.)
Viele rassistische Muster, die sich gegen People of Color wenden, beruhen nicht auf bösen Absichten, schreibt sie.
Kirche und Rassismus?
Kirche tue sich mit Rassismus auch deswegen so schwer, weil man ja alles immer nur „gut“ meint. Man fühle sich leicht auf der Seite der „Guten“ und glaube dann, selbst seine Hausaufgaben nicht mehr machen zu müssen.
Viele distanzierten sich allzu leicht von dem Thema Rassismus. Dafür gebe es nach Astrid Messerschmidt Strategien, zum Beispiel die „Skandalisering“: „Das Thema wird als Skandal wahrgenommen und damit weit fortgeschoben. Man verlagert die Diskussion dahingehend, dass man sich empört darüber, dass ein Rassismus-Vorwurf im Raum steht, und führt damit eine Täter-Opfer-Umkehr durch.“ Robin diAngelo prägt den Begriff der „white fragility“ – das finde ich weiterführend, wenn ich mir die Emotionen in der Rassismus Debatte anschaue: Weiße Zerbrechlichkeit. Wehe, jemand wird als „Rassist*in“ bezeichnet. Oft lässt das die Situation viel eher eskalieren als der eigentliche Rassismus. Damit wären wir bei meiner Situation vom Anfang.
Was können wir tun?
Sarah Vecera schreibt: „Der Schlüssel liegt darin, sich gegenseitig nicht abzuwerten, sondern zuzuhören, einfühlsam zu sein und scheitern zu dürfen. Das kann nur dadurch entstehen, wenn man die Wahrheit sagt. Eigentlich ganz einfach…. und doch so schwer. Unsere Kirche wird vielleicht nicht so radikal sein, wie es sich manche wünschen, und es wird sich auch nicht von heute auf morgen augenscheinlich vieles ändern, aber wir haben auch ganz schön viel im Gepäck und kommen so gemeinsam langsam voran.“ (S. 156)
Es ist viel zu tun und es gibt dabei viel zu gewinnen, merke ich. Denn den Ort „Kirche“ für alle besser zu machen, ist auch mir ein Anliegen.
Ein persönliches Schlusswort
Einmal saßen wir bei einer Besprechung beisammen, das war noch während meiner Ausbildung und wir überlegten, was für ein Thema für Veranstaltung xy grad gut wäre. Ich schlug das Thema „Kirche und Rassismus“ vor und mir wurde gesagt: „Das ist nicht relevant.“
Das habe ich als schmerzhaft empfunden. Denn es klingt für mich, als wolle man rassistische Denkmuster in den eigenen Räumen einfach leugnen. Und mehr noch: Als würde man sagen, dass es doch nicht schlimm sei, wenn People of Color sich in der Kirche ausgeschlossen fühlten.
Und dann frage ich mich, ob hier „Kirche“ verstanden wurde. „Kirche“ oder theologisch gesprochen „Ekklesiologie“ ist mehr als relevant: Nur in der Beschäftigung mit eben jener, der eigenen Geschichte, Tradition und Funktion gewinne ich eine Reflexionseben, die Handlungsspielräume eröffnet. Wenn wir Gottes Auftrag, Menschen zu begeistern für seine Liebe in Wort und Tat nicht ernst nehmen, wer sind wir dann? Gott, der als Jesus Christus, so viele Grenzen überwunden hat – würde er nicht auch wollen, dass Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Sexualität… all diese Äußerlichkeiten für uns keine Rollen spielen in der Begegnung miteinander?
In der Bibel geht es um Menschen, um Ebenbilder Gottes, Personen mit Herz und Seele, die ansprechbar sind für Glaube, Liebe und Hoffnung – es geht nicht darum, ob jemand anders ist als das, was ich für „normal“ halte. Es geht nicht darum, ob jemand weniger wert ist von der Liebe Gottes angesprochen zu werden. Alle sind wert genug, angesprochen zu werden und dazuzugehören. Wie könnte die Thematisierung dieses Auftrags nicht relevant sein?
Dazu gehört aber auch die Schattenseite: Das Scheitern an diesem Auftrag.
Wir werden nie perfekt sein, weder als Menschen noch als Kirche, aber wir müssen uns doch wenigstens messen am „Traum von einer Kirche ohne Rassismus, wie Gott sie sich vorgestellt hat.“ (S. 62)
Und in der letzten Konferenz des Dekanats (das ist wie ein Kirchenkreis anderen Orts) hatten wir Sarah Vecera zu Gast und sprachen offen über Rassismus in der Kirche.
Das zeigt doch: Es tut sich etwas.
Ich wünsche mir, dass das so bleibt und lade euch von Herzen ein: Träumt mit, ihr Lieben!
Und lest das wunderbare Buch von der Sarah Vecera 🙂
Eure Theotabea