Corona zeigt: Digitale Kirche funktioniert! Warum das aber ein Problem ist…

Wir bekommen gerade erst eine Ahnung davon, was Digitale Kirche alles kann – und davon, was für Widerstände uns das einbringen wird. Eine vorläufige Bilanz und ein paar Ideen.

Das Problem ist eigentlich nicht, dass Digitale Kirche nicht funktionieren würde. Das haben wir doch in den letzten Wochen erlebt: Digitale Kirche kann ganz unabhängig von Präsenz und Kirchgebäuden Menschen geistlich zusammenbringen. Ob Gottesdienst, Kirchenkaffee, Bibelrunde – all das können wir digital haben. Ob auf der Couch, auf dem Balkon oder am Esstisch – wir können Kirche überall haben. Und zu jederzeit, ob Sonntagsmorgens um 10 Uhr oder erst um 18 Uhr oder einen Tag später. Das geht.

Und davor haben viele Angst. Nicht davor, dass Digitale Kirche nicht klappen würde. Es steht viel auf dem Spiel: Ganze Lebensleistungen und Verständnisse von Kirche könnten verloren gehen.

Digitale Kirche statt Frauenarbeit, Posaunchor und ökumenischem Dialog?

Teilweise haben die Kritiker und Kritikerinnen wohl Recht. Kirche verfügt über schwindende Mittel. Auf Dauer wird nicht jedes Angebot weiter bestehen können. Der Rotstift sitzt an der Kehle so vieler Bereiche, Gebäude, Mitarbeitender. Priorisieren, heißt das dann. Davor hätte ich auch Angst. Denn die Trauer derer, die nicht priorisiert worden sind, geht tief. Ein ganzes Verständnis von Kirche kann dabei drauf gehen. Mir tut es immer so weh im Herzen, wenn ich engagierte Frauen darüber reden höre, wie das war – früher – mit der Frauenarbeit. Was da bewegt wurde! Was für ein Selbstbewusstsein generiert wurde! Nicht nur dass das größtenteils weggekürzt wurde und keine neuen Angebote aufgebaut werden – wer würdigt denn jetzt das Engagement all der Frauen in der Frauenarbeit? Wer ist denn noch da, der das wirklich könnte, der diese Arbeit von innen kennt, der jung ist und stolz auf die Vorkämpferinnen? Das sind Ängste, die ich verstehen kann.

Und wisst ihr was? Ich möchte nicht in den Kirchenverwaltungen sitzen und überlegen, ob man demnächst Mittel für die ökumenische Verständigung oder für die Arbeit der Posaunenchöre streicht. Da hängen Menschen dran, die eine Leidenschaft haben für den Glauben, für Musik und für Gemeinschaft – und damit andocken können an Kirche. Und das wägen wir gegeneinander ab?

Bei den Debatten um Zukunft von Kirche steht viel auf dem Spiel

Glaubt mir, bitte, wenn ich sage: Ich ahne, was auf dem Spiel steht. Ich mag das keinesfalls einfach wegwischen. Und wer braucht noch den Gottesdienst in fünf Kirchen einer Region, wenn wir doch einen mega Gottesdienst der Landeskirche haben, der landauf – landab gestreamt werden kann? Jedenfalls könnte man doch regionale Gottesdienste aufsetzen, sich einen Schlüssel überlegen: Fünf Gemeinden – ein Gottesdienst, zehn Gemeinden – ein Gottesdienst. Je nachdem, inwiefern man voraussetzen kann, dass dann die Pfarrerin/der Pfarrer noch bekannt wäre in der dritten, vierten, achten Gemeinde.

Ich will nicht den Teufel an die Wand malen. Sondern einfach mal zuspitzen. Klar machen, was auf dem Spiel steht. Und auf einen Denkfehler hinweisen.

Der Denkfehler

Digalisierung, Digitale Kirche – all das wird stets als ein Zusatz empfunden. Viele abgemühte Kolleg*innen sagen mir dann: Das kann ich jetzt nicht auch noch leisten. Und das, weil sie eben dann auch andere Schwerpunkte haben. Der einen ist die Flüchtlingsarbeit wichtig, dem anderen die Kirchenmusik, wieder einer anderen die Seelsorge. Auch Gemeinden bieten ja selten irgendwie alles an, sondern begrenzen sich – aus gutem Grund. Alles andere wäre eine Überforderung.

Aber jetzt mal alles durchgerechnet, Karten auf den Tisch, Hand aufs Herz. Ist Digitalisierung in der Kirche wirklich eine zusätzliche Aufgabe?, ich stelle die Frage offen. Ich habe dazu meinen Gedanken, aber ich bin keine Hellseherin. Wie sich das Feld ausprägen wird, weiß ich nicht. Aber mal ein Gedankenspiel: Sagen wir, die Landeskirche xy denkt sich: „Cool, Digitalisierung – bauen wir ein Zentrum für.“ Kann wünschenswert sein. Dann werden Kompetenzen aus den Bereichen Mediengestaltung, Kommunikationswissenschaft, IT zusammen gepackt – zack, das Zentrum ist auf Höchstleistung und versorgt die ganze Landeskirche mit tollen digitalen Angebote. Jetzt frage ich: Würde das funktionieren? 

Ich meine es klingt so aufregend… ein bisschen träume ich wohl davon. Aber was für ein Content könnte denn so ein abgesondertes Zentrum generieren? Wo wäre die theologische Reflexion der aufgestylten, digitalen Angebote? Wo die Angliederung zu den Menschen vor Ort?

Wir müssen digitale Kirche integrieren, nicht absondern

Digitalisierung gehört in alle Bereiche von Kirche. Weswegen sie tragischer Weise oft hinten runter fällt: Wenn es alle machen, macht es niemand. Aber eigentlich stimmt es doch: Wir müssen alle Pfarrer*innen, alle Kirchemusiker*innen, alle Leute in der Verwaltung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Bildungsarbeit, der Ökumene… wir müssen sie befähigen, ihre Arbeit, ihren Bereich, ihre Herzensthemen digital zu gestalten. Das heißt: Gerade bei Digitaler Kirche müssen wir nicht das eine gegen das andere ausspielen. Zum Beispiel könnte doch der digitale Anteil der Arbeit im Pfarramt endlich Teil von Ausbildung werden. (Wie gesagt: Ich kann das immer nur für den Pfarrberuf sagen, wie ist es eigentlich bei der Gemeindepädagogik, der Kirchenmusik?

Ich habe mir ja mal die freche Frage erlaubt: „Wie viele Stunden in der Ausbildung am theologischen Seminar werden eigentlich für Digitalisierung einkalkuliert?“ Eigentlich weiß ich gar nicht, ob ich das in Stunden messen möchte. Aber trotzdem: Eine konkrete Antwort wollte man mir nicht so richtig geben. Konnte man vermutlich auch nicht. Weil es kein Konzept dazu gibt, keine Reflexion, keine Dokumentation. Schade. Und dann könnte Digitalisierung auch rein die Dienstordnungen, die Pfarrer*innen mit ihren Kirchenvorständen aushandeln. Im Moment machen die aller meisten Pfarrer*innen (für die anderen Berufsgruppen weiß ich es nicht, erzählt mir gerne, wie es bei euch ist) alles, was sie digital wuppen, in ihrer Freizeit. Es gibt Ausnahmen. Aber es sind wenige. Ich sage es nochmal deutlich: Dienstrechtlich ist alles, was ich digital mache, Hobby.

Jetzt eine 100%-Stelle für Digitale Kirche einzurichten, bringt vielleicht nicht so viel. Damit lagern wir blöderweise Digitales wieder aus. Es muss aber eben in jede Stelle hinein. Dass man es dann mehr oder weniger nutzt, ist ein anderes. Digitales ist für Vieles eine Erleichterung, eine Hilfe. Ich kenne Gemeindebüros, die mit dem Dateiformat pdf nicht umgehen können – ja, da muss eine Schulung her. Wenn die Pfarrerin nicht weiß, was für ein Konzept für einen Online-Gottesdienst theologisch und liturgisch sinnvoll ist – muss da auch eine Schulung her. Wenn das nicht bereits das theologische Seminar abgedeckt hat, was ich aber leider bisher wenig sehe, von einzelnen erfreulichen Vorstößen abgesehen, die umso wertvoller sind.

Ein, zwei Stellen für Digitale Kirche wären dann übrigens doch sinnvoll

Stellen, die für Digitale Kirche geschaffen werden, könnte man nutzen, um zum einen Schulungen für andere anzubieten oder auch für Beratungen vor Ort. Und dann: Braucht es auch landeskirchliche, überregionale Angebote. Zoom-Gottesdienst mit dem Kirchenpräsidenten. Ja mega! Davon will ich mehr sehen. Vernutzung der ganzen vielen kleinen Digital-Disciple-Accounts, wie es manche Landeskirchen Accounts auf Social Media bereits machen. Ja! Mehr davon! Traut euch, ihr Landeskirchen. Das sind ja eure eigenen Leute, die könnt ihr ruhig unterstützen. 

Darüber hinaus könnte so ein Arbeitsbereich Digitale Kirche dann auch das Equipment zur Verfügung stellen bzw. on demand ausleihen. Es kann ja nun nicht Sinn sein, dass jede Gemeinde sich das mega neueste Equipment an den Start holt. Oder es Equipment gibt, das nur die meiste Zeit über nicht genutzt wird. 

Überregionale, Digitale Kirche wäre wie eine Flughafen-Kapelle.

Das Bild habe ich mal auf Twitter benutzt, um zu beschreiben, wohin meine Gedanken laufen. Überregionale, digitale Kirche wäre wie eine Gemeinde am Flughafen, eine Gemeinschaft auf Zeit. Wenn ich darüber nachdenke: So schlecht war das Bild nicht. Online-Gemeinschaften neigen dazu, schnell viel Nähe herstellen zu können, eine Verbundenheit über die Verschiedenheit hinweg und gleichzeitig eine gewisse Unverbindlichkeit und Brüchigkeit aufzuweisen. Was übrigens gar kein Defizit ist: Vielleicht ist diese kurzzeitige Verbundenheit eben nur so zu erreichen und darum umso kostbarer. Viele fühlen sich in nahen, familienähnlichen Gemeinschaften wohl – andere nehmen lieber vorsichtiger, schüchterner oder über die Distanz teil. Die könnten wir abholen mit einer überrgionalen Digitalen Kirche.

Digitale Kirche ist keine Raketen-Wissenschaft

So kompliziert ist das alles nicht. Man muss sich reindenken, sich gewöhnen, sich beraten lassen. Aber das Digitale lebt ja gerade vom Intuitiven: Es ist das, wie man es benutzt. Das wirklich Tolle ist: Es unterstützt euch dabei, was ihr sowieso schon macht. Es hilft, eure Leidenschaft, euer Themen mit anderen zu teilen. Es nimmt niemandem was weg. Wenn das jetzt mal keine Good News sind…

Also: Traut euch!

Und wenn ihr mal Fragen habt, dann fragt gerne bei mir nach. Ich kann auch meistens kompetente Leute sagen, die weiterhelfen – oder vielleicht auch selbst helfen, so Gott will.

Eure Theotabea

4 Kommentare

  1. Interessanter Beitrag! Ich bin noch nicht fertig mit dem Nachdenken darüber und über Kirche überhaupt.

    Vorab eine Detailfrage: Sollte es oben wirklich „Lebensleitungen“ heißen – auch ein interessantes Wort – oder doch „Lebensleistungen“?

    Für mich ist Kirche auf eine Art sehr analog. Ich mag es, dort nach alter Väter Sitte mit Menschen zusammenzukommen und Gottesdienst zu feiern. Der USP (Unique Selling Point) der ev. Kirche mir gegenüber ist der Posaunenchor, das gemeinsame Musizieren mit anderen. Selbst zu meinen distanziertesten Zeiten habe ich davon nicht lassen können. Digital geht das nicht oder kaum.

    Auf der anderen Seite bin ich nicht erst seit Corona digital unterwegs. Die aktive und konstruktive Auseinandersetzung mit meinem Glauben hätte für mich anders nicht so erfolgreich stattfinden können.

    Ich sehe die Digitalisierung von Kirche zwiespältig. Zum einen ist sie dringend notwendig, um z. B. auch die jüngeren Generationen richtig erreichen zu können, zum anderen setzen sich in der digitalen Welt tendenziell die Lauten und Bunten, die Freaks und Spinner durch und machen sich zu wichtig. Auch im Bereich Glaube und Kirche.

    Ich denke, wir müssen die digitalen Optionen auf jeden Fall nutzen, aber sollten weder die Erwartungen noch die Befürchtungen übertreiben.

    Tojak

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    • Herzlichen Dank für das Feedback, Thomas Jakob!

      Den Schreifehler habe ich korrigiert, gut gesehen.

      Ich stimme zu, dass man Digitalisierung zwiespältig sehen kann. Ich möchte auch keinesfalls berechtigte Ängste und Einwände weg diskutieren: Ich weiß, dass sie bestehen.

      Sich nüchtern anzugucken, was Digitale Kirche kann – wie du es vorschlägst – mit nicht zu hohen Erwartungen und nicht zu hohen Befürchtungen, finde ich einen guten Ansatz. Freut mich auch, dass Sie/ du Digitale Kirche nutzen konntest, um sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen. Das kann Digitale Kirche: Diskussionskultur gestalten, anregen, austauschen, teilen… und das ist wichtig für die Kommunikation des Evangeliums.

      Nochmals vielen Dank fürs aufmerksame Lesen und Kommentieren.
      Beste Grüße Theotabea

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